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Februar 1945

Sindelfingen: Hilfe für Nazi-Gegner im Untergrund

Projekt „Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“ des Stadtmuseums und Stadtarchivs Sindelfingen

Von Illja Widmann

Sindelfingen. Im Februar 1945 war das Kriegsende bereits in greifbarer Nähe. Die seit Herbst 1941 in Sindelfingen lebende Gerda Eisenhardt (1912 in Berlin geboren) sehnte das Ende des NS-Regimes herbei. Sie wurde im April 1933 als Kommunistin das erste Mal verhaftet. Ihr Lebensweg war in den folgenden Jahren vom Leben im Untergrund und im französischen Exil geprägt. Mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich geriet das Leben von Gerda, die mittlerweile mit Willi Eisenhardt verheiratet war und im September 1939 eine Tochter zur Welt gebracht hatte, in große Gefahr. Nach Internierungslager und Haft in Berlin war es der Familie möglich, 1941 nach Sindelfingen umzuziehen. Willi Eisenhardt arbeitete hier bei Daimler-Benz.

Hilfe für Kriegsgefangene

Dank der Schülerarbeitsgruppe am Goldberg-Gymnasium unter ihrem Lehrer Michael Kuckenburg wurde die Geschichte von Willi und Gerda Eisenhardt recherchiert und aufgezeichnet. In den 1980er-Jahren war es ihnen noch möglich gewesen, ein Interview mit der Zeitzeugin zu führen.

Willi Eisenhardt setzte sich in Sindelfingen unter großem Risiko für französische Kriegsgefangene ein. In Zusammenarbeit einer französischen Organisation mit deutschen Gegnern des Naziregimes gelang es, 72 französischen Kriegsgefangenen, die bei Daimler-Benz arbeiteten, zur Flucht aus Sindelfingen zu verhelfen. In einem ausgeklügelten System wurden gefälschte Papiere erstellt, Fahrscheine und Kleidung besorgt und die Flüchtenden nach Frankreich geschleust.

Ein Mann namens Bedouille

Die wichtigste Verbindungsperson war ein Mann namens Bedouille, der ebenfalls bei Daimler-Benz arbeitete und die Erlaubnis hatte, sich in der Stadt frei zu bewegen. Willi Eisenhardt berichtete seiner Frau erst später von seiner Tätigkeit als Fluchthelfer. Gerda unterstützte ihn dann und als er zur Wehrmacht einberufen wurde, übernahm sie seine Aufgaben.

Bis zum Februar 1945 ging alles gut. Doch eines Tages sah eine Nachbarin, dass Gerda Eisenhardt Besuch von Bedouille bekam und zeigte dies an. Es folgte die umgehende Verhaftung. Die mittlerweile zwei kleinen Kinder wurden von einer anderen Nachbarin aufgenommen und gut versorgt.

Im Stuttgarter Gestapo-Gefängnis

Gerda Eisenhardt kam nach Stuttgart ins berüchtigte „Hotel Silber“, das Gestapo-Gefängnis. Aus ihrem Bericht über diese Zeit: „das Gebäude ist zerstört, es existiert nur noch das Kellergewölbe…Für die verhafteten Frauen gibt es zwei…Räume…für ca. 20 Frauen einen Blecheimer als Toilette. Keine Waschgelegenheit. Das perfide ist, der Eimer reicht für 20 Frauen nicht aus…Die „Betten“ bestehen aus einem Strohsack, ohne Leintuch, keine Decke…Also schläft man in den eigenen Kleidern und Mantel. Kleiderläuse hat man in kürzester Zeit…Arbeitseinsatz in der Küche. Beginn schon 5 Uhr morgens.“

Neben der Tätigkeit in der Küche, wurden die Frauen zu Aufräumarbeiten mit schwerer körperlicher Arbeit eingeteilt. Hier mussten sie auch bei Luftalarm im Freien weiterarbeiten. „Bei den Vernehmungen in der Heulandstrasse wurde geschlagen. Kurz vor Ostern, wurden wir alle zum Verbrennen der Gestapopapiere und unserer Eigenen abkommandiert…Dabei gelang es…den Film zu retten, der die Erhängung der Opfer des 20. Juli aufzeichnete. Gleich nach Ostern wurden wir entlassen…es fuhr keine Bahn mehr…verlaust und krank suchten wir den Weg nach Hause.“

Erst Franzosen, dann Amerikaner

Zehn Tage nach der Entlassung kamen französische Soldaten nach Sindelfingen, und Gerda Eisenhardt war als Dolmetscherin gefragt. Sie wurde auf Wunsch des französischen Kommandeurs bei der Stadt Sindelfingen angestellt. Ende Juli 1945 wurde der Vertrag aufgehoben, als die französische Armee von der amerikanischen abgelöst wurde. Die Familie musste Ende des Jahres die amerikanische Zone und damit Sindelfingen verlassen, da die Amerikaner Willi Eisenhardt der Spionage für Frankreich bezichtigten. Gerda Eisenhardt sah als eigentlichen Grund jedoch eher dessen Tätigkeit als „aktiver Kommunist“ an.

In ihren Lebenserinnerungen beschreibt Gerda Eisenhardt die menschliche Solidarität, die sie in der Zeit zwischen 1933 und 1945 immer wieder erfahren hatte. In selbstloser Weise unterstützten auch fremde Menschen sie und ihre Familie, oft unter hohem persönlichem Risiko. In gleichem Maße waren sie und ihr Mann ebenfalls bereit zu helfen. Nach dem Krieg war Gerda Eisenhardt Gründungsmitglied des Tübinger Verbands der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Sie starb 2008 mit 96 Jahren.

(Autorin Illja Widmann ist die Leiterin des Sindelfinger Stadtmuseums.)

Das Projekt

Das Projekt „Vor 80 Jahren - Sindelfingen im Krieg“ stellt monatlich wechselnd ein Thema oder ein Objekt aus der Zeit vor 80 Jahren im Stadtmuseum in den Mittelpunkt und präsentiert dies in einer Vitrine. In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv entsteht auf diese Weise ein Blick in die Vergangenheit, der unter anderem die Alltagssituation der Menschen damals in den Blick nimmt.

Info

Die Monatsvitrine zum Thema ist seit Dienstag, 25. Februar, im Stadtmuseum zu sehen. Das Sindelfinger Stadtmuseum im Alten Rathaus in der Langen Straße 13 hat folgende Öffnungszeiten: Dienstag - Samstag 15 - 18 Uhr, Sonn- und Feiertag 13 - 18 Uhr.