

Die SZ/BZ hat sich mit Sylvia Weller-Pahl, 63, über den Hirsch und seine Bedeutung für Sindelfingen unterhalten.
Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Hirsch?
Sylvia Weller-Pahl: „Ich bin seit 2003 Stadtführerin in Sindelfingen. Neben den historischen Führungen gibt es unter anderem auch Fachwerk- und Kellerführungen. Und wer sich mit der Geschichte der Stadt beschäftigt, der kommt am Hirsch nicht vorbei. Es ist das bedeutendste Gasthaus der Stadt. Seit etwa eineinhalb Jahren beschäftige ich mich intensiv mit der Geschichte des Hauses. Das ist sehr spannend.“
Was haben Sie dabei entdeckt?
Sylvia Weller-Pahl: „Da ist zum Beispiel der Hirsch-Keller. Bei Führungen taucht diese Frage oft auf. Der Keller war in den 50er Jahren zur Gaststätte ausgebaut. Die Gäste von damals sind heute mindestens 70 Jahre alt. Es gibt eine alte Postkarte, die zeigt, wie die Einrichtung war. Sonnst kenne ich kein Bild. Vielleicht taucht doch noch ein Foto auf, das bis jetzt in einem Album schlummert. Da gäbe es noch einiges zu erforschen.“
Wie sieht es mit den Besitzern und Pächtern aus?
Sylvia Weller-Pahl: „Auf den ersten Blick waren es einfach viele verschiedene Namen. Mich haben die Zusammenhänge interessiert. Das Familienbuch und die Forschungen von Eugen Schempp waren eine große Hilfe. Aber auch die Möglichkeit, online die Kirchenbücher zu durchforsten. Und plötzlich fügten sich die einzelnen Personen zu einer Familie, deren Ursprung im 16. Jahrhundert liegt, durch Heirat der Töchter immer wieder den Namen ändert und erst 1909 mit den Namen Uhland und Lanz auf dem Hirsch endet. Anhand der Geschichte dieser Familie lässt sich viel über die Umstände der jeweiligen Zeit ablesen.“
Zum Beispiel?
Sylvia Weller-Pahl: „1609 wütete die Pest in Sindelfingen, unglaublich viele Menschen starben. Es war mit Sicherheit jede Familie betroffen. Auch während des 30-jährigen Krieges, genauer nach der Schlacht bei Nördlingen 1634, wurde unter anderem Württemberg, also auch Sindelfingen von den kaiserlichen Truppen überfallen und misshandelt. Das traf auch die Familie auf dem Hirsch.“
Wann beginnt denn die Geschichte des Gasthauses Hirsch?
Sylvia Weller-Pahl: „Als 1711 der aus Dagersheim stammende Zeugmacher Johann Jakob Schmidt stirbt, steht im Totenbuch zum ersten Mal ‘Hirschwirth’. Das ist die erste namentliche Erwähnung vom Hirsch, die ich gefunden habe. Aber schon 1456 verkaufte das Stift das Grundstück an den Chorherrn Conrad Widmann. Darin ist die genaue Lage beschrieben, „gelegen an dem kirchoff anderhalb an der Straß gen dem Stattgraben, und zu der drytten Sytten an dem wege der hinab zu dem Sewe geet“. Weiter ist zu lesen, ein „Bierhußlin an sein Schuren“. Das ist einer der Hinweise, dass an dieser Stelle schon früh Bier gebraut wurde. Von der Lage her gehörte es zum Stift, nach der Reformation ging es in private Hand über.“
Der Brand 1865 hätte zur Katastrophe führen können
Es gibt im 18. Jahrhundert schon eine Spur nach Böblingen.
Sylvia Weller-Pahl: „Ja, 1749 heiratet Maria Barbara Kling, Hirschwirts Tochter, den Bierbrauer Johann Michael Dinkelacker. Er wird Hirschwirt, geht aber wohl nach dem Tod seiner Frau nach Böblingen und gründet dort eine Brauerei. Die gibt es bis heute.“
Und 1865 war für den Hirsch ein besonders dramatisches Jahr?
Sylvia Weller-Pahl: „In der Nacht vom 19. auf 20. März 1865 brannten die Scheuermit den kleinen Häusern daran, vollständig ab. Wer das Stadtmodell kennt, oder den Stadtplan von 1830, kennt die enge Bebauung an dieser Stelle. Dieser Brand, in unmittelbarer Nähe zur Martinskirche und zur Altstadt hätte leicht zur Katastrophe für die Stadt werden können. Es ist der unglaublichen Leistung der Feuerwehr zu verdanken, dass es nicht so kam. Die näheren Umstände möchte ich aber bis zum Vortrag für mich behalten.“
Wann und wie endet die Familiengeschichte des Gasthauses Hirsch?
Sylvia Weller-Pahl: „1905 kaufte Robert Leicht, der schon damals in Vaihingen seine Brauerei betrieb, den Hirsch und verpachtet ihn an Julius Lanz. Als der 1906 stirbt, führen Sophie Lanz und Wilhelmine Luise Uhland den Hirsch noch bis 1909 weiter. Der nächste Pächter und spätere Besitzer August Seeger hat dann schon mit der bisherigen Familiengeschichte nichts mehr zu tun. Ab da wird die Geschichte des Gasthauses Hirsch richtig bunt. Ruhig und beständig wird es erst wieder nach der Renovierung bis heute mit der Familie Giffhorn.“
Info:
Sylvia Weller Pahl berichtet am Freitag, 9. März, 19 Uhr im Gasthof zum Hirsch über die Geschichte des Hauses. Im Preis von 20 Euro ist ein Sindelfinger Leibgericht zum Abendessen enthalten. Anmeldung erforderlich unter der Telefonnummer 0 70 31/80 90 06.