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Heimweg durch sechs Länder

Falk von Göler läuft von Rumänien nach Sindelfingen

Weil der 17-jährige Sindelfinger nach dem Abi Gutes tun will, absolviert er ein Freiwilliges Soziales Jahr in Rumänien – und läuft danach nach Hause.
Von Jürgen Wegner

Sindelfingen/Botoșani. Zwangspause auf der Ostalb. Irgendwo bei Aalen droht einem unglaublichen Abenteuer das abrupte Ende. Falk von Göler läuft auf dem Standstreifen der zweispurigen Bundesstraße und fragt sich: „Darf ich das?“ Die Autos brettern mit 120 Stundenkilometern vorbei. Auf der Gegenfahrbahn blinkt Blaulicht auf. Der Streifenwagen macht die Kehrtwende, kommt zurück, und der 18-jährige Sindelfinger hat seine Antwort. Nein, hier laufen darf er nun wirklich nicht. Kurz danach sitzt er auf der Rückbank des Polizeiautos.

21 Stunden reine Gehzeit und knapp 100 Kilometer vor dem Ziel in Sindelfingen – laut Google Maps – ist es nur zum Glück das vermeintliche Aus. Gestartet ist er über 1600 Kilometer vorher. In Botoșani. Immer mit demselben Schuh am Fuß. So richtig heikel sei es bis zur Ostalb auch nicht gewesen, bis auf die ein oder andere Magenverstimmung. Ansonsten läuft es ziemlich rund von Rumänien bis Deutschland, quer durch Ungarn und Österreich samt Schlenker durch Tschechien und Abstecher in die Slowakei.

Ein Nachtlager in Rumänien.

Warum er überhaupt in Botoșani losmarschiert ist, hat sicher damit zu tun, dass er erstens die Natur mag, zweitens nicht erschrocken ist und drittens gerne Podcast hört. Einer davon ist von Tim Gabel, der mit dem hauptberuflichen Abenteurer Fritz Meinecke darüber sprach, wie dieser von München nach Venedig lief. „Das klang verrückt und so simpel zugleich“, sagt Falk von Göler.

Warum denn Rumänien?

Auch Rumänien braucht seinen Grund. Nach dem Abi 2021 am Stiftsgymnasium mit den Leistungskursen Physik, Mathe und Französisch liegen für den damals 17-Jährigen ein paar Fakten auf der Hand. Er will Auslandserfahrung sammeln, über ein Freiwilliges Soziales Jahr ehrenamtlich wirken und das eine mit dem anderen kombinieren. Dabei soll es aber an keine mediterranen Strände gehen. Holz hacken vor der Kinderfreizeit - eine meiner Aufgaben während des FSJs 02.04.23, 20 08 15.jpg Mit 17 Jahren und damit noch vor der Volljährigkeit bleiben bei diesen Prämissen nicht viele Anbieter übrig. Über den internationalen Jugendfreiwilligendienst des DRK tut sich die Tür nach Rumänien auf, und in den Bergen des Hinterlands, einer der ärmsten Gegenden Rumäniens, stößt Falk von Göler auf eine Jugendeinrichtung in Botoșani. Dort hilft er Kindern bei Hausaufgaben und gibt ein Jahr lang Lebenshilfe. Er schläft in einem kargen Zimmer mit Schimmel an der Decke und freut sich über so viele empathische Menschen, die trotz großer Armut offen und respektvoll miteinander umgehen. Diese versorgen sich selbst mit dem, was der Acker hergibt. Sie teilen, wovon sie wenig haben „und sie essen echt viel Fleisch“, sagt Falk von Göler.

Das Jahr ist schnell vorüber, der Gedanke über Monate gereift, der Entschluss gefasst. Mit dem ersten Schritt beginnt das große Abenteuer. Es zu beschreiben, geht nicht in kurzen Zeilen. Doch langweilig sei es nie gewesen. Gefährlich auch nicht, nur komisch, „als mir in einem Romaviertel eine Frau ihr Baby in den Arm drückte“.

In den 48-Liter-Rucksack packt er das Zweimannzelt, die Isomatte, den Schlafsack und die Campingkocher samt Gaskartusche, den Topf und ein paar Klamotten, Wasserfilter und eine Zahnbürste. Wechselschuhe braucht er nicht, die Hoka-Schuhe tragen ihn bis ins Ziel. Die ersten vier Tage läuft seine erste Begleiterin Gabriela mit, am zweiten Tag bekommt er einen Sonnenstich und muss sich übergeben. Es geht durch Naturschutzgebiete und über Landstraßen, durch kleine Dörfer und Weltstädte wie Budapest und Wien. Gabi und ich kn den ersten Tagen 17.07.23, 13 00 26 Jan.jpg

Foto 30.08.23, 12 46 23.jpg Manchmal schläft der Sindelfinger im Hostel und meistens im Zelt, „wobei ich eine große Gelassenheit bekam, an unmöglichen Orten mein Lager aufzuschlagen“. Immer wieder geht jemand mit, meistens läuft er allein. Beides ist gut so. Viele wollen helfen, einer schenkt Geld. Im Nachgang fällt ihm eines auf: „Überall haben mich die Menschen gefragt, was ich da überhaupt mache. In Deutschland fanden sie das toll. In Rumänien hielten sie mich für verrückt und fragten, warum ich mir das antue.“

Irgendwann geht es nach Bayern, irgendwann nach Baden-Württemberg und irgendwann auf die Ostalb, wo die Polizei den Sindelfinger aufgabelt. Falk von Göler gibt sich bockig. „Ich will nicht mitfahren. Ich will nach Sindelfingen laufen“, sagt er. Einsteigen muss er trotzdem. Zum Glück fahren ihn die Beamten nicht westwärts, um ihn dort abzusetzen, „sonst hätte ich wieder zurücklaufen müssen“, sagt Falk von Göler. Er will sich den Spaß und die Strecke doch nicht von zwei Polizisten verderben lassen.

Die Zielgerade

Noch eine Nacht in Schorndorf, dann geht es auf die 51 Kilometer lange Zielgerade. Sieben Kilogramm leichter als beim Start, „weil man unterwegs so unendlich viele Kalorien verbraucht und so wenig Hunger hat“, wie er sagt, erwachen auf der Stuttgarter Königstraße Heimatgefühle. Ab Vaihingen hat er Gesellschaft und Freunde an der Seite. Lino und Simon biegen ums Eck. Am Sindelfinger Skihang stoßen sein kleiner Bruder Bolko, Celina und Bugra dazu.

58 Tage nach dem ersten Schritt folgt der letzte über die Schwelle im Schleicher in Sindelfingen. Mutter hat Freunde eingeladen und das Haus dekoriert, Falk von Göler zieht die Schuhe aus, wirft die Klamotten in die Ecke, ist froh über das Wiedersehen und doch nicht überschwänglich. Die Gedanken pendeln, drehen sich zurück nach Rumänien. Und ein paar Tage später hat er wieder eine Idee. So in sechs, sieben Jahren, also Mitte 20, will er aufs Rad steigen. Einmal quer durch Afrika, das wär doch was.

Der Heimweg – 58 Tage, 49 Stationen

Grafik: Teufel

Die nackten Fakten für einen beeindruckenden Heimweg. Falk von Göler lief in 58 Tagen 1714 Kilometer. Dabei legte er zwölf Pausentage ein. Mit diesen Pausen eingerechnet wären es pro Tag 29,26 Kilometer. Tatsächlich lief der 18-Jährige pro Etappe im Schnitt 37,26 Kilometer. Die längste Strecke betrug 61 Kilometer, insgesamt lief er zweimal mehr als 60 Kilometer und am letzten Tag 51 Kilometer. Der Trip startete am 13. Juli um 12 Uhr und endete am 8. September um 21.30 Uhr.

Social Media: Auf Instagram und Tiktok füllen sich die Seiten von falkventures.

Die Nachtlager:

  • Rumänien: 1. Botoșani, 2. Dumbrăveni, 3. Suceava, 4. Ilișești, 5. Vama, 6. Câmpulung Moldovenesc, 7. Botoșul Mare, 8. Borșa, 9. Vișeu de Sus, 10. Petrova, 11. Sighetu Marmației, 12. Săpânța, 13. Negrești-Oaș, 14. Micula, 15. Satu Mare, 16. Carei
  • Ungarn: 1. Vámospércs, 2. Debrecen, 3. Hortobágy, 4. Tiszafüred, 5. Heves, 6. Jászberény, 7. Gyömrő, 8. Budapest, 9. Tata
  • Slowakei: 1. Zlatná na Ostr., 2. Baka, 3. Šamorín, 4. Bratislava
  • Österreich: 1. Hainburg, 2. Schwechat, 3. Wien, 4. Großweikersdorf, 5. Maissau, 6. Schwarzenau
  • Tschechien: 1. České Budějovice, 2. Český Krumlov, 3. Černá v. P., 4. Nová Pec
  • Deutschland: 1. Waldkirchen, 2. Tittling, 3. Osterhofen, 4. Straubing, 5. Abensberg, 6. Ingolstadt, 7. Donauwörth, 8. Aalen, 9. Schorndorf, 10. Sindelfingen Foto 08.09.23, 21 52 17.jpg

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