

Böblingen. In einem Punkt waren sich alle Redner einig: „Der Coworking Space im D12 ist ein mutiges, spannendes und innovatives Projekt.“ Mit einem Festakt samt anschließendem „Tag der offenen Tür“ wurde der kirchlich-soziale Coworking Space „Anknüpf-Bar“ im eingeweiht.
Und weil der Andrang entsprechend groß war, ging die feierliche Eröffnung im benachbarten Arbeiterzentrum der Betriebsseelsorge über die Bühne, bevor der „Coworking Space“ im D12 besichtigt werden konnte – bei Getränken, Häppchen und zum Spiel der Kirchenmusikdirektorin Marianne Aicher am brandneuen Schimmel-Piano.
Die Dekanatsreferentin und Projektleiterin Annegret Hiekisch begrüßte die Gäste mit einem Lied von Hape Kerkeling, in dem er für Gemeinschaft wirbt: „Das hier wäre doch die Zeit zum Zusammensein.“ Dekan Anton Feil stellte die Bedeutung des „Coworking Space“ anhand des Dekanats-Leitbildes „Der Tiefe trauen – Weite wagen – Zusammenhalt stärken“ vor: „Jeder Mensch soll seinem eigenen Herzen und seinen Impulsen trauen und andere Menschen wahrnehmen.“
Baden-Württemberg ist laut dem Dekan unter allen Bundesländern auf Platz 3 in Sachen Katholiken-Zahlen, trotzdem sei „jeder Mensch kein Fall für die Statistik, sondern es wert, persönlich wahrgenommen zu werden“. Dazu trage nun auch der Coworking Space bei.
„Coworking Space oder wie die Kirche zur lernenden Organisation wird“, so lautet das Thema des Festvortrags von Weihbischof Matthäus Karrer, Leiter der Hauptabteilung „Pastorale Konzeption“ der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Die Kirche müsse, so Karrer, aktuelle Herausforderungen in Kirche und Gesellschaft wahrnehmen, sich aber auch eingestehen, dass sie sich mit manchen Entwicklungen in eine Sackgasse begeben hat. „Es ist ein hehres Ziel, in den Sackgassen nicht stehen zu bleiben, sondern umzukehren“, betonte der Weihbischof.
„In der Entwicklung möglicher innovativer Lösungen ist Kirche dabei gut beraten, nicht nur auf eigene Ressourcen zurückzugreifen, sondern von anderen zu lernen“, so Karrer. Und hier kommt die „Anknüpf-Bar“ ins Spiel: Denn das ist laut dem Weihbischof eine Lösung, die es zu erproben gilt: „Wir wissen nicht, ob es funktioniert, und das ist gut so.“
Coworking heißt, dass Kirche ihre Räume zu öffentlichen Räumen macht, sie also freigibt für die Menschen im Sozialraum. Und dieses sozialraumorientierte Handeln müsse sich laut dem Weihbischof an den Interessen der Menschen orientieren, aber auch Eigeninitiative unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben. Es müssen Kooperationen entstehen und Netzwerke koordiniert werden. Dazu sollen die vorhandenen Ressourcen genutzt, und es soll zielgruppen- und bereichsübergreifend agiert werden.
So vernetze sich Kirche und schaffe Räume für Menschen. Es entstehen neue Formen der Gemeinschaft, in denen man voneinander lernen könne. Und an diesen neuen Orten ist die Gottesvermutung besonders verlockend: „Es kann interessant werden zu erfahren, welche Wege Gott mit den Menschen in einem Coworking Space geht und wie diese dort von Sinn, Hoffnung und dem Göttlichen sprechen. Denn Glaube manifestiert sich nicht am Sonntag im Gottesdienst, sondern von Montag bis Samstag“, erklärte Karrer.
In der diözesanen Kirchenentwicklung geht es laut Karrer auch um Kirche als lernende Organisation. Denn man habe gelernt, dass Kirche sich nicht auf sich selbst beziehen darf, sie auf Vernetzung und Netzwerke angewiesen ist und viele Orte braucht. Kirche darf nicht nur Glauben lehren, sondern muss sich mehr auf ein Entdecken des Glaubens verstehen. Zudem bringt die Zusammenarbeit unterschiedlicher Kompetenzen im Haupt- und Ehrenamt laut Karrer mehr Wirksamkeit: „Wir müssen unsere Mitglieder zu Seelsorgern machen.“ Abschließend stellte Weihbischof Matthäus Karrer die Frage „Ist auch Gott ein Coworker?“
Sozialpädagogin Regina Vogt, die bei der Stadt Böblingen für die Quartiersentwicklung verantwortlich ist, präsentierte den Slogan „Gemeinsam für Böblingen“: „Der passt ganz gut zum Coworking Space.“ Am Beispiel von Stadtteiltreffs stellte sie die Bedeutung von Begegnungsmöglichkeiten heraus und betonte: „Es ist wichtig, dass hier ein neuer Treff für junge, aber auch für ältere Menschen entsteht.“
Jürgen Jakob Kehrer, evangelischer Theologe und Coworking-Experte lobte in seiner Videobotschaft die „Anknüpf-Bar“ aber als ein „ganz besonders innovatives Projekt“. Der Betriebswirtschaftler Prof. Dr. Sven Laudien, Rektor der „Media Akademie Stuttgart“, betonte, dass beim Coworking die soziale Komponente immer wichtiger werde. „Und dieser Coworking Space ist deutschland- oder sogar europaweit der erste, der den sozialen Charakter hervorhebt“, erklärte Laudien.