Menü
Beratung von Eltern steht heute an erster Stelle

Pro Familia im Kreis Böblingen ist 50

Die SZ/BZ hat mit Beate Scharfenstein, Leiterin der Böblinger Beratungsstelle und der Vereinsvorsitzenden Kristiane Dongus über ihre Arbeit gesprochen.

Von Esther Elbers
Beate Scharfenstein (links), Leiterin der Böblinger Beratungsstelle, und Vereinsvorsitzende Kristiane Dongus vor der Beratungsstelle in der Böblinger Pfarrgasse.

Beate Scharfenstein (links), Leiterin der Böblinger Beratungsstelle, und Vereinsvorsitzende Kristiane Dongus vor der Beratungsstelle in der Böblinger Pfarrgasse.

Bild: Elbers

Kreis Böblingen. Pro Familia ist eine wichtige Anlaufstelle rund um Schwangerschaft, Geburt, die erste Zeit der Elternschaft, Partnerschaft und Sexualität. Jüngst feierte Pro Familia im Landkreis Böblingen das 50-jährige Bestehen. Die Hauptstelle befindet sich seit 2002 in Böblingen, der Standort in Leonberg wird als Außenstelle weitergeführt. Die SZ/BZ hat sich mit Beate Scharfenstein, Ärztin und Leiterin der Beratungsstelle, und Kristiane Dongus, Vorsitzende des Vereins Pro Familia Kreis Böblingen und Fachanwältin für Familienrecht, über die Entwicklung in den vergangenen Jahren unterhalten.

Wie kam es zur Gründung von Pro Familia hier im Landkreis?

Kristiane Dongus: „1974 war Sexualität noch ein Tabuthema, über das eher hinter verschlossenen Türen gesprochen wurde. Frauen der evangelischen und katholischen Kirche wurden in Leonberg im Kreis Böblingen aktiv und haben eine Beratungsmöglichkeit auf die Beine gestellt.“

Beate Scharfenstein: „Angefangen hat es mit einem Beratungsangebot in einer Leonberger Turnhalle. Dass die Initiative von Frauen aus dem kirchlichen Bereich kam, hat mich überrascht. Denn damals waren Schwangerschaftsabbrüche das Hauptthema bei den Beratungen. Schwangerschaftsabbrüche durften in Deutschland nicht vorgenommen werden. Für betroffene Frauen war die Situation sehr schwierig.“

"Habe Sorge, dass die Zahl der ungewollt Schwangeren zunimmt"

Sind Abtreibungen auch heute noch der Schwerpunkt bei den Beratungen?

Beate Scharfenstein: „Das hat sich gewandelt. Bei uns machen Schwangerschaftskonflikt-Beratungen mit 10 bis 20 Prozent der gesamten Beratungen heute den geringsten Anteil aus. Ich habe allerdings etwas Sorge, dass die Zahl der ungewollt Schwangeren zunimmt. Denn das Kondom hat die Pille laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in 2023 als häufigstes Verhütungsmittel abgelöst. Das Kondom ist ein sicheres Verhütungsmittel, kommt aber nicht an die Pille heran. Dass die Beliebtheit der Pille gesunken ist, liegt daran, dass sie im Internet seit einiger Zeit verteufelt wird.“

Welche Themen spielen dann heute eine große Rolle?

Beate Scharfenstein: „Die Beratungen von werdenden Eltern machen einen Anteil von etwa 50 Prozent aus. Dabei geht es auch um finanzielle Hilfen. Die Anteile der Paar- und Sexualberatung und der Rechtsberatung liegen bei jeweils rund zehn Prozent. Seit der Corona-Pandemie beraten wir auch telefonisch oder per Video. Die medizinische Beratung zu Verhütung, Kinderwunsch oder nach einer Fehlgeburt ist ebenfalls gefragt. Außerdem ist zweimal im Monat eine Fachanwältin für Familienrecht in der Beratungsstelle und bietet eine erste Rechtsinformation an. Auch kommen Menschen mit Beeinträchtigung mit unterschiedlichen Themen. Weitere Schwerpunkte sind die sexuelle Bildung mit Besuchen in Schulklassen oder Gruppen für alle Bildungseinrichtungen, Fortbildungen für Erzieher und Tageseltern, Vorträge für Eltern und zur Frauengesundheit sowie Angebote zur Brustselbstuntersuchung. Ein neues Feld ist die Queer-Beratung.“

Wie viele Menschen erreichen Sie jährlich mit Ihren Angeboten?

Beate Scharfenstein: „Es sind fast 1000 Beratungen im Jahr. Die Nachfrage ist so groß, dass Anfang dieses Monats schon alle Oktober-Termine ausgebucht sind. Früher hatten wir eine Wartezeit von zwei bis drei Monaten zur Schwangerenberatung und zur Elternzeit. Deshalb haben wir unsere Vergabepraxis verändert und schalten Termine für die kommenden vier Wochen jetzt immer erst zum Monatsende frei. In der sexuellen Bildung erreichen wir über Schulen, Kindergärten und sonstige Träger circa 3000 Personen im Jahr und sind auch hier sehr schnell ausgebucht.“

Wie finanziert sich Pro Familia im Kreis Böblingen?

Beate Scharfenstein: „Wir erhalten eine 80-prozentige Förderung vom Land für 2,14 Stellen, die sich auf vier Personen verteilen. Die Stellenanteile haben wir zum Teil selbst finanziert aufgestockt. Für die sexuelle Bildung an Schulen, für die Paar- und Sexualberatung und für die Rechtsberatung nehmen wir Geld, aber die Sätze sind niedrig. Am Geld soll es nicht scheitern. Wir bekommen vom Landkreis und von der Stadt freiwillige Leistungen, sind aber auch auf Spenden angewiesen, um die fehlenden 20 Prozent der Finanzierung zu stemmen.“

Gibt es gesellschaftliche Bereiche, in denen Sie Nachholbedarf sehen?

Kristiane Dongus: „Wir hoffen, dass die Rechte der Frauen bestehen bleiben und sich nicht verschlechtern. Allerdings sehen wir bei den Schwangerschaftsabbrüchen eine Verschlechterung der Situation. Es gibt heute weniger Ärzte, die solche Eingriffe vornehmen als vor zehn Jahren. Eine Ursache dafür ist unserer Ansicht nach, dass diese Mediziner von politisch eher rechts gesinnten Menschen angefeindet werden. Hier im Großraum Stuttgart gibt es noch einige Ärzte, die Abbrüche vornehmen, aber beispielsweise in Pforzheim praktiziert kein Arzt mehr. Dabei haben Frauen ein gesetzliches Recht darauf, wenn sie zuvor entsprechende Beratungsstellen aufsuchen und die Fristen einhalten.“

Wie sieht die personelle Situation bei Pro Familia in Böblingen aus?

Beate Scharfenstein: „Wir könnten schon mehr Stellen gebrauchen. Wir würden beispielsweise  auch gerne ein Video-Coaching für frischgebackene Eltern anbieten, die mit der Situation überfordert sind. Aber das bekommen wir nicht hin. Außerdem ist es in unseren Räumen eng. Wir treten uns schon auf die Füße. Darüber hinaus sind wir hier in der Pfarrgasse nicht barrierefrei. Es besteht aber die Möglichkeit, Menschen in Ausnahmefällen im barrierefreien Treff am See zu beraten.“

Info

Pro Familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung Bundesverband ist ein deutschlandweiter Verbund von Beratungsstellen. Das Angebot richtet sich vor allem an Jugendliche, Eltern und Schulen. Auch anderen Interessierten bietet Pro Familia Beratungen an. Dem in Landesverbände untergliederten Bundesverband gehören rund 4000 Mitglieder an. Er unterhält mehr als 180 Beratungsstellen in Deutschland mit etwa 1600 Mitarbeitern.

Kontakt

Die Böblinger Beratungsstelle befindet sich in der Pfarrgasse 12. Die Telefonnummer lautet: 07031 / 678005, Homepage: www.profamila.de/boeblingen. Termine nur nach vorheriger Absprache. Die Telefonzeiten sind montags von 9 bis 13 Uhr, dienstags und mittwochs von 13 bis 17 Uhr sowie donnerstags von 9 bis 13 Uhr.