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Interview mit Jörn Kleinschmidt

FC Playfair aus Böblingen: „Im Fall Katar kann man grob auskeilen“

Der Präsident des in Böblingen gegründeten Vereins legt im SZ/BZ-Podcast „Willi und Dödel“ den Finger in die Wunde, begründet aber auch den sportlichen Reiz der Spiele: „Hier kann man den sportlichen Erfolg nicht kaufen“.
Von Jürgen Wegner
Jörn Kleinschmidt in der Klubzentrale des FC Playfair auf der Hulb in Böblingen.Bild: z

Jörn Kleinschmidt in der Klubzentrale des FC Playfair auf der Hulb in Böblingen.Bild: z z

Fußball. Nachdem die dänische Nationalmannschaft beim Training keine Menschenrechts-Hemden tragen darf, untersagt die Fifa den Spielführern nach der Regenbogen- jetzt auch die One Love-Kapitänsbinde. Themen wie diese treiben auch den in Böblingen gegründeten FC Playfair um. Im SZ/BZ-Podcast „Willi und Dödel“ nimmt dessen Präsident Jörn Kleinschmidt Stellung zu den Spielen der Fußball-WM in Katar. Hier ein Auszug.

Die Fußball-WM läuft. Wie geht es da dem Präsidenten des FC Playfair?

Jörn Kleinschmidt: „Es ist sehr, sehr schwierig. Viele schauen auf die Menschenrechtssituation und auf Wanderarbeiter, das ist bessere Sklaverei. Und angeblich sind tausende Menschen während des Baus der Stadien gestorben. Das scheint auch belegt zu sein. Das ist alles eine große Katastrophe und noch nicht alles.“

Hier geht es direkt zur Podcastfolge 161: Katar - Ist das noch irgendwo fair?

Sondern?

Jörn Kleinschmidt: „Die andere Katastrophe, für die Katar mitverantwortlich ist und die im Kontext der WM angesprochen wird, ist das Thema Erdöl. Katar ist einer der größten Erdöl-Förderer und die Qatar Airways sind einer der größten Erdöl- und Kerosin-Verbrenner dieser Welt. Damit haben sie einen extrem großen Beitrag am Klimawandel und der Klimazerstörung. Katar verdient mit der Ausbeutung der Erde, mit der Unterdrückung der Menschen und mit der Zerstörung unseres Klimas ihr Geld. Mit diesem Geld wollen sie ihre kleptokratische Oligarchie aufrecht erhalten. Wir sehen hier eher eine mittelalterliche Feudalherrschaft, als dass es ein entwickeltes gesellschaftliches Sozialsystem.“

Zurück zum Fußball. Katar spielt auch eine Rolle, die den europäischen Fußball stark belastet, indem sie Millionen in Spitzenklubs buttert.

Jörn Kleinschmidt: „Das Geld, das insbesondere in den Klubwettbewerben in den europäischen Fußball fließt, sorgt dafür, dass wir keinen fairen Wettbewerb haben. Weder in der Bundesliga, noch in der Premier League oder in Frankreich. Die Hypothese ist außerdem durchaus, dass die Kataris über den Einfluss in den großen Klubs und auf die Entscheidungsträger in Europa die WM in ihrem Land erst sichergestellt haben. So absurd, wie diese WM ist, müssen viele Leute beeinflusst worden sein, was wiederum für ein komplettes Ungleichgewicht und einen unfairen Wettbewerb in den großen Ligen gesorgt hat. Bayern München ist mit einem Jahresetat von 350 Millionen Euro unterwegs, VfL Bochum mit 25 Millionen Euro. Zwischen Bayern München und den grauen Mäusen liegt der Faktor 10.“

Kurz vor der WM wurden die Stimmen lauter, aber man hätte viel früher agieren können. Der FC Playfair tat es.

Jörn Kleinschmidt: „Vor anderthalb Jahren hatten wir den DFB in einem offenen Brief angeschrieben. Wir haben dazu aufgefordert, die Teilnahme unter Vorbehalt zu stellen als starkes Signal: Der DFB schaut genau hin, verbunden mit der Bitte an die Kataris, innerhalb von einem Jahr Fortschritte in der Menschenrechtssituation vorzuweisen. Der DFB hat auf diesen Brief nicht reagiert. Was sollen sie dazu auch sagen? Im Kopf stimmen alle Mitarbeiter im DFB zu und sagen, es ist eine unsägliche Situation. Auf der anderen Seite wollen sie ihr Flaggschiff schicken, um dort zu spielen und möglicherweise den Titel zu gewinnen.“

Warum ist bei den Spielern das große Schweigen?

Jörn Kleinschmidt: „Am Schluss ist es das Geld, das das ganze System ernährt. Geld regiert die Welt. Aber man muss auch sagen: Die Fußball-Weltmeisterschaft ist das letzte große Fußball-Sportereignis, das noch integer ist, weil du dort Erfolg nicht kaufen kannst."

Warum kann man den Erfolg hier nicht kaufen?

Jörn Kleinschmidt: „Es ist anders als in einem Klubwettbewerb. Du hast nur eine reine Nationalmannschaft. Du kannst nur die deutschen, französischen oder iranischen Spieler nehmen, kannst aber keinen Neymar einkaufen. Oder einen Erling Haaland, der nicht einmal bei der WM dabei ist. Champions League ist vorhersehbar, die Ligen sind vorhersehbar, aber die Fußball-WM ist wirklich offen.“

Das macht den Reiz aus.

Jörn Kleinschmidt: „Heute weiß keiner, wer Weltmeister wird. Bei den letzten WMs sind Italien, Frankreich oder Deutschland in der ersten Runde ausgeschieden. Die WM ist wirklich spannend. Und das ist für mich auch ein Grund, sie im Zweifelsfall anzuschauen.“

Zuschauen ohne schlechtes Gewissen, geht das überhaupt?

Jörn Kleinschmidt: „Eigentlich nicht, dafür ist zu viel passiert. Man darf das System nicht ermuntern, noch einmal und immer wieder solche Wettbewerbe stattfinden zu lassen. Doch es tut mir einfach aus den eben genannten Gründerin der Seele weh.“

Muss man sich irgendwo schuldig fühlen, wenn ich mir die Spiele reinziehe?

Jörn Kleinschmidt: „Das Kind ist längst in den Brunnen gefallen. Vor 10 Jahren hätte man die WM nach der Vergabe aufgrund der Temperaturen verhindern können. Wir hätten locker eine Reihe alternativer Ausrichter gefunden. Das hat man nicht geschafft.“

Am Ende heben wir eben dann doch alle den Zeigefinger und wissen alles besser. Ist dieses Selbstverständnis von moralischer Überlegenheit scheinheilig?

Jörn Kleinschmidt: „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Das kann man im Fall Katar schon sagen und grob auskeilen. Aber man muss auch auf die eigenen Themen schauen. Bei uns brennen Flüchtlingswohnheime, es werden Frauen mit Kopftüchern auf der Straße angepöbelt, während wir den Frauen in den arabischen Ländern Applaus spenden, die ihre Kopftücher abnehmen.“

Den Sieg beim Wettbewerb kann man nicht kaufen, den Wettbewerb an sich schon.

Jörn Kleinschmidt: „Wir machen den Kommerz mit, weil der Fußball eben auch so spannend ist. Bei einer Umfrage haben 56 Prozent der Fans gesagt, sie wollen nicht zuschauen. Dieses Ergebnis ist aber immer durch das Prinzip der sozialen Erwünschtheit beeinflusst. Wer gefragt wird, ob er die WM schaut, weiß, dass es sozial erwünscht ist, nein zu sagen. Heimlich, still und leise schaut er die WM in seinem Wohnzimmer trotzdem an. Ich erwarte, dass wir bei den Zuschauerzahlen keinen massiven Einbruch erleben.“

Gib es aus Sicht des FC Playfair einen positiven Aspekt der WM?

Jörn Kleinschmidt: „Ich glaube grundsätzlich, dass sich Werte und Normen entwickeln. Auch wir hatten eine Gesellschaft, in der Homosexualität strafbar war. Wir hatten darüber diskutiert, ob Vergewaltigung in der Ehe straffrei bleibt. Es ist nicht so lange her, dass wir in Deutschland gesellschaftliche Normen hatten, die heute völlig abstrus sind. Wenn eine Fußball-WM und die Aufmerksamkeit von außen dazu beiträgt, dass eine Entwicklung gestartet oder beschleunigt wird, dann ist das gut. Es kann sein, dass so etwas passiert.“

Gibt es für eine positive Entwicklung eine Garantie?

Jörn Kleinschmidt: „Schaut euch Russland an. Da hat die WM nicht zu einer gesellschaftlichen Entwicklung geführt. Ganz im Gegenteil. Oder China mit der Olympiade in Peking. Die Hoffnung ist da, aber sie ist nicht groß.“

Konnte man über eine Fußball-WM schon positive Entwicklungen begründen?

Jörn Kleinschmidt: „Ich wage die Hypothese, dass die Heim-WM 2006 dazu geführt hat, dass Deutschland weniger fremdenfeindlich und eine offenere Gesellschaft geworden ist. Wir hatten bis dahin Kurven in den Stadien und Ultras, die zum Teil rechtsradikal unterwegs waren. Das haben wir heute in ganz vielen Städten gar nicht mehr. Ultras engagieren sich massiv für gesellschaftliche und soziale Verantwortung. Und sie waren die ersten, die gegen Katar protestierten.“

Der FC Playfair

Der FC PlayFair! – Verein für Integrität und Nachhaltigkeit im Fußball ist eine in Böblingen ansässige Organisation, die sich vereinsübergreifend und bundesweit für Fan- und Vereinsinteressen im Fußball einsetzt.Er zeigt Probleme im deutschen Fußball auf und versucht, Fans, Vereine, Funktionäre und Verbände an einen Tisch zu bringen, damit gemeinsam Lösungen gefunden werden. Mit einem Antrag bei der Unesco möchte der FC PlayFair! die Fußball-Fankultur als schützenswertes Kulturgut anerkennen lassen. Der Verein wurde im Januar 2017 vom heutigen Präsidenten des VfB Stuttgart, Claus Vogt, und dem Sportökonomen André Bühler gegründet, um angesichts der immer weiter zunehmenden Kommerzialisierung im Profifußball in Deutschland und anderswo die dringendsten Probleme zu identifizieren und Lösungsansätze aufzuzeigen.Aufsehen erregte unter anderem der im Jahr 2022 zum zweiten Mal veröffentlichte Nachhaltigkeitsbericht über die Bundesliga-Vereine, bei dem zum Beispiel der FC Bayern München ganz schlechte Noten bekam. Unter anderem wgen der Beziehungen nach Katar.Auf fcplayfair.org gibt es mehr Infos.