Der künstlerische Exkurs ins Innere
Pia Maria Martin nimmt ihre Arbeit ernst – in allen Beziehungen. Nachdem die Stuttgarter Künstlerin von Dr. Christian Baudisch, dem Leiter des Deutschen Fleischermuseums in Böblingen, überzeugt wurde, die nächste Sonderausstellung des Hauses zu bestücken, stand zunächst einmal ein Schnupperpraktikum bei den Dätzinger Metzgern Christoph und Dominik Heinkele in der Wurstküche auf dem Programm. Es heißt, sie habe sich am Wurstfüller ganz geschickt angestellt.
Beste Voraussetzungen also für das Thema „durch dick und dünn“, mit dem die neue Sonderausstellung überschrieben ist. „Verdauung und Darm – ich bin fasziniert von dem Sujet“, sagt die Künstlerin. Der Rahmen, den Museumsleiter Baudisch vorgegeben hatte, war, sich vom Museum und seinen Inhalten inspirieren zu lassen. Dazu gehörte durchaus auch die Recherche in der Museums-Bibliothek, wo Pia Maria Martin auf ein Standardwerk der 60er Jahre stieß: „Der praktische Fleischer“.
Im Wurmfortsatz
Nicht minder ein Faszinosum für die Künstlerin, die sich in ihrem Kurzfilm der Peristaltik künstlerisch nähert. Der Film wird im „Großen Kino“ im Anbau als Dauerschleife zu sehen sein. Das Hauptwerk ist als im „Wurmfortsatz des Museums“, wie der Museumsleiter mit viel Themenbezug und ein wenig Süffisanz bemerkt, zu sehen sein. Damit will er das Museum für die Ausstellung gewissermaßen „umstülpen“. Denn im zweiten Stock, wo den Besucher normalerweise das Ausstellungsthema am Nagel und gerahmt erwartet, gilt es nun eine Galerie in Progress zu entdecken. Hier gestattet die Künstlerin Einblicke in den Prozess ihrer Arbeit, ihres Denkens.
Tücher, Laken, Überzüge aller Art, die in den Aussteuerkisten der Martinschen Familie eines praktischen Nutzens entgegenharrten, erfahren ihre künstlerische Bestimmung bei dem Exkurs ins Innere. Mit einer Mischung aus Blutlaugensalz und Ammoniumcitrat lichtempfindlich gemacht, belichtet die Künstlerin die Tücher, wobei Schweinedärme, Rindergelatine oder auch Kuhschwanzknochen ihre Negativabbildungen hinterlassen. Kombiniert werden die Materialien aus dem Fleischerei-Fachbedarf unter anderem mit Klistieren, Zahnarztspiegeln oder auch Spülbürsten, die den diffusen Linien des Gekröses eine markante Tiefe geben.
Blutlauge und Ammoniumcitrat
Eine langwierige Kunst. Bis zu 10 Stunden müssen die Tücher im Atelier belichtet werden und anschließend ausgewaschen werden. Immerhin: So alt auch die Technik der Stoffbelichtung sein mag, für diese Art von Kunst muss der Kenner normalerweise weit fahren, um sie zu sehen – wenn er überhaupt im Erdenrund fündig wird. So dürften sich die Böblinger Ausstellungsmacher ohne zu übertreiben auf ihre Fahnen schreiben: Diese Kunst ist einzigartig.
Im hinteren Raum des zweiten Stocks gibt es gar nichts zu sehen. Es ist dunkel. Dafür gibt es hier fett was auf die Ohren: Die Film-Musik-Geräusche von Joachim Schütz sind hier zu einer 45-minütigen Klanginstallation zusammengefügt, die den Zuhörer quadrofonisch umhüllt, wie die Pelle die Wurst. In einem Lauschmöbel sitzend, kann sich das Auditorium in den Klangraum hineinhören. Halbtonschritte unter anderem, auf vier Gitarren mit elektrischen Bögen gestrichen, erzeugen peristaltische Klangbilder, die durch den Raum wabern.
Info
Die Einzelausstellung von Pia Maria Martin „durch dick und dünn“ wird am Donnerstag, 15. November, 19 Uhr, eröffnet. Los geht als allerdings dann im Filmzentrum Bären (Saalöffnung 18.30 Uhr, wo der kurze Ausstellungsfilm uraufgeführt wird. Ein Lichtkunstwerk einer erstaunlichen Innenwelt garniert von Klangbildern des Hamburger Tonkünstlers Joachim Schütz. Gegen 20.30 Uhr geht es im Fleischermuseum weiter. Dann kümmert sich die junge Metzgervereinigung „wir sind anders“ mit kleinen Gerichten um die praktische Umsetzung des Themas.