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Podcast

Schönaich: Keltengräber, ein Münzschatz und ein Erfinder als Wohltäter

Helmut Wagner vom Heimatverein Schönaich im SZ/BZ-Gespräch über die Geschichte seiner Heimatgemeinde und ihren Besonderheiten.
Von Hans-Jörg Zürn

Schönaich. Ein Ortsname, der weder etwas mit einer Eiche oder dem Bach Aich zu tun hat, ein Waldstück, das den Schönaicher Familien gehört, ein Münzschatz und der Wohltäter Johann Bruecker, der als Ehrenbürger der Gemeinde 1965 völlig verarmt verstarb. Helmut Wagner vom Heimatverein Schönaich gibt im SZ/BZ-Gespräch Einblicke und löst die Rätsel auf.

1987 gründeten Schönaicher den Heimatverein (www.heimatverein-schoenaich.de) mit dem Ziel, die Geschichte zu erforschen und zu dokumentieren. Helmut Wagner hat mittlerweile drei Bücher über seine Heimatgemeinde veröffentlicht.

In einer Oberamtsbeschreibung aus dem Jahr 1850 wird Schönaich für seine schöne Lage gelobt und der Ortsname so hergeleitet. Stimmt das?

Helmut Wagner: „Mit diesem Mythos möchte ich aufräumen. Der Name rührt auch nicht vom Flüsschen Aich oder der schönen Eiche an der Abzweigung Böblinger Straße / Holzgerlinger Straße. Dieser Baum ist keine 350 Jahre alt, er wurde zum Ende des Dreißigjährigen Krieges gepflanzt. Der Bach Aich wurde bis vor 150 Jahren als Aya geschrieben, ein Begriff für Bach. In vielen Orten in Süddeutschland gibt es sogenannte Auchert. Das war eine freie Fläche. Das stammt aus dem keltischen und alemannischen Sprachgebrauch und geht damit auf die Siedlungsgeschichte zurück. Die Menschen haben damals keine Wälder gerodet, sondern freie Flächen besiedelt. Daher rührt der Name Schönaich, also schöne Auchert oder schöner Freiplatz. Hier haben die Menschen einst gesiedelt.“

Die Ursprünge der Gemeinde gehen auf die Keltenzeit zurück. Gibt es dafür noch Belege?

Helmut Wagner: „Ja, sogar mehrere in Form von Keltengräbern. Richtung Holzgerlingen liegt eines, das bereits geöffnet ist. Hier finden wir also nichts mehr. Zwei weitere gibt es in Richtung, die sind noch unberührt, das Denkmalamt müsste hier sein Einverständnis geben für Grabungen. Zudem gibt es den Schönaicher Münzschatz. Ein Vater ging westlich der Gemeinde mit seinem Kind spazieren und fand die sogenannten Regenbogenschüsselchen. Die waren etwa 200 Jahre vor Christus Zahlungsmittel und sind keltischen Ursprungs. 18 bestehen aus Silber, zwei aus Gold. Das sind eindeutige Belege für eine keltische Siedlung.“

Was sind neben den Keltengräbern und diesem Schatz die ältesten Zeugnisse der Siedlung?

Helmut Wagner: „Da haben wir nicht viel. Es gibt noch ein Römerstäffele südlich von Schönaich Richtung Neuweiler nahe dem heutigen Ortsteil Lindenlauch, dessen Name auch auf die Kelten zurückgeht. Loh war ein ursprünglich keltischer Name für Wald und entwickelte sich dann zu Lauch, die Bezeichnung für ein Waldgebiet. Wir finden das auch im Schönaicher Ortsteil Herdlauch. Das war einst der Wald, in dem Frauen Feuerholz machten für den Herd.“

Eine Genossenschaft aus dem Jahr 1500

Womit wir zu einem weiteren Kuriosum kommen, der Laubach-Genossenschaft. Das ist ein Gemeinschaftswald in Richtung Waldenbuch, der auch Frauen gehörte. Was hat es damit auf sich?

Helmut Wagner: „Das ist fast schon Folklore und geht auf das Jahr 1500 zurück. Dieser Wald gehört den Schönaicher Familien und damit auch den Frauen. Das war damals sehr ungewöhnlich, denn Frauen konnten nichts erben oder besitzen. Wer einen Herd hatte, durfte dort Holz holen. Aus ursprünglich 14 Genossen wurden über 1 200. Es gibt auch heute noch den Laubach-Schultes, also den Bürgermeister dieser Gemeinschaft. Sobald die Gemeinde beim Holzverkauf in diesem Gebiet einen Überschuss erzielt, bekommt jeder Haushalt in Schönaich Geld. Doch reich wird damit niemand. Ich habe in meinem Leben in den letzten Jahren vielleicht 50 Euro bekommen.“

Die Kirche stürzt Schönaich in die Krise

Im 19. Jahrhundert ging es der Gemeinde richtig schlecht, warum?

Helmut Wagner: „Schönaich war Mitte des 19. Jahrhunderts de facto pleite, weil sich die Gemeinde 1840 mit dem Neubau der Laurentiuskirche finanziell übernommen hat. Darin sollte jeder Einwohner Platz finden. Es gab 1 500 Sitzplätze, zwei Emporen übereinander. Die Baukosten sollten 12 000 Gulden betragen, am Ende waren es aber 26 000. Aber auch die etwa 2 000 Einwohner waren sehr arm. Die vielen Großfamilien konnten kaum noch von der Landwirtschaft leben, die Äcker wurden durch die Realteilung beim Vererben immer kleiner. Fast alle Schönaicher mussten noch einem anderen Beruf nachgehen. Die Gemeinde baute ein Armenhaus und 1850 ein Suppenhaus, in dem Tag für Tag 390 Portionen ausgegeben wurden.“

Viele wollten in der Folge auswandern. Amerika war eines der Hauptziele, warum?

Helmut Wagner: „Die meisten gingen, bevor sie zum Militär mussten. Keine Arbeit oder keine Chance zu erben, weil sie nicht Erstgeborene waren, ließ sie ihre Heimat verlassen. Viele folgten dabei Mitgliedern ihrer Familien, die schon früher nach Amerika übergesiedelt sind.“

Doch es kamen wieder bessere Zeiten. Wie wendete sich das Blatt?

Helmut Wagner: „Zunächst blieb es schlimm. In Schönaich arbeiteten damals 200 Weber. Die verloren über Nacht ihr Einkommen, englische Maschinenwebstühle hatten das in Handarbeit hergestellte Tuch zu teuer gemacht. Es herrschte Angst vor der Industrialisierung. Erst ein ehemaliger Schullehrer, dessen Tochter in der Schweiz lebte, lernte dort die Weißzeug-Stickerei kennen und brachte sie nach Schönaich. So entstanden Fabriken, später auch für Korsettweberei. Unternehmer aus Stuttgart brachten zudem ungefähr 1880 die Zigarrenindustrie mit drei Fabriken in die Gemeinde. Der Plan, Tabak anzubauen, ging jedoch nicht auf, der Rohstoff musste zugekauft werden. Nun versuchten sich die Schönaicher auch mit Wein, was aber auch nicht glückte. So begannen sie mit dem Hopfenanbau für Bier, das in dieser Zeit stark aufkam. Die Pfefferburg an der alten Straße nach Böblingen war damals nicht etwa eine Burg, sondern ein Bierkeller.“

Die Eisenbahn rollt 30 Jahre lang

Damals fuhren noch Pferdefuhrwerke, später sogar die Eisenbahn. Warum blieb das nur eine kurze Episode?

Helmut Wagner: „Die Züge rollten in den Jahren 1922 bis 1954 von Böblingen nach Schönaich. Eigentlich sollte die Trasse bis nach Waldenbuch weitergeführt werden und dann durch das Siebenmühlental. Mit dieser Anbindung wäre ein schöner Ringverkehr möglich gewesen, doch dazu kam es nie. Die Busse kamen stark auf und läuteten das Ende der Zugverbindung ein. Danach brachten nur noch einige Güterzüge Anfang der 60er-Jahre die großen Röhren der Bodensee-Wasserversorgung nach Schönaich.“

Ein Wohltäter aus Amerika

Ein besonderer Mann war Johann Bruecker, nach dem heute noch die Schule in Schönaich und eine Straße benannt ist. Er gilt als Erfinder des elektrischen Rasierapparates. Wie ist seine Verbindung zur Gemeinde?

Helmut Wagner: „Er war kein Schönaicher, sondern kam aus Neu Pasua, das im heutigen Serbien liegt. Er wanderte ebenfalls in die USA aus und folgte seiner Familie. Von Beruf Schlosser arbeitete der Tüftler mit bekannten Erfindern wie Thomas Alva Edison zusammen. Den elektrischen Rasierer entwickelte er in den 30er-Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam er nach Schönaich zu seinem Bruder Peter, der in völlig ärmlichen Verhältnissen lebte. Bruecker fragte den damaligen Bürgermeister Fritz Übele, wie er helfen könnte. Als Gönner ließ er zwei Häuser mit rund 12 Wohnungen in der Brueckerstraße nach amerikanischem Standard bauen. Zudem gründete er eine Stiftung, die es heute noch gibt. Die Miete der Wohnungen speist die Stiftung, die weitere Wohnungen und ein Altenzentrum baute. Als sein Patent erlosch, verarmte Johann Bruecker. Er starb schließlich 1965 als Ehrenbürger der Gemeinde und wurde in Schönaich bestattet.“